Redebeitrag auf der Demo anlässlich der Räumung der Friedel54

3. Juli 2017

Der folgende Redebeitrag wurde von einem*r Teilnehmer*in der Kiezversammlung in eigenem Namen bei der Auftaktkundgebung der Demo am 1. Juli 2017, zwei Tage nach der Räumung des Kiezladens Friedel54, verlesen.

Nachbarn und Nachbarinnen,

es war eine lange Nacht vom 28. auf den 29. Juni 2017. Wir haben wenig geschlafen, sind zusammen wach geblieben, haben die ganze Nacht auf der Straße vor dem Kiezladen verweilt, haben getrunken, gegessen und geraucht, uns ausgetauscht und geträumt: von einer blockierten Zwangsräumung, von einem solidarischen Kiez, der stärker ist als die Staatsgewalt. Am 29. Juni haben wir ein Anzeichen eines solchen solidarischen Kiezes erlebt: die ganze Nacht lang und sogar noch während der Räumung wurden wir versorgt mit Essen, Wasser und Kaffee, hatten freien Zugang zu den Badezimmern in Wohnungen des umliegenden Kiezes, und am Morgen der Zwangsräumung stand dieser Kiez auf den Balkonen und vor den Polizeiabsperrungen um seine Wut darüber zu zeigen, dass ihm ein Teil seiner gewachsenen sozialen Struktur gewaltsam genommen wurde.

Wir haben die Zwangsräumung des Kiezladens Friedel54 nicht verhindern können. Die Polizei kam vollausgerüstet über den Hinterhof, über das Dach und durch die Eingangstür, sie prügelte uns fort von einem Raum, der der Gesellschaft diente, und nicht einer anonymen Briefkastenfirma. Vor den Absperrungen wütete sie mit Schlagstöcken, Pfefferspray und Fausthieben, um die Menschen davon abzuhalten, sich mit ihren Nachbarn und Nachbarinnen in der Sitzblockade solidarisch zu zeigen. Die Partytouristen der Berliner Polizei haben ihr Handwerk nicht verlernt. Die Feierei der Hundertschaften 13, 14 und 32 in Hamburg, sowie die Kritik eines anonymen Beamten am G20-Gipfel sind leider verschwindend kleine Lichtblicke von Menschlichkeit in einer sonst undurchdringlichen, barbarischen Primitivität des Funktionierens in der Hierarchie der Polizei. Nichts anderes bleibt zu sagen, ausser: Schämt euch, ihr Kinderschläger! Wir kämpfen auch für eure Stadt!

Aber trotz der berechtigten Wut sollten wir nicht allzuviele Gedanken an die Polizei verschwenden. Es macht keinen Sinn. Die polizeiliche Brutalität wird staatlich garantiert, und der Polizeistaat ist der immerfort anwesende Schatten der bürgerlichen Demokratie – Zu groß sind die Widersprüche zwischen den Besitzenden und Benutzenden, zwischen denjenigen mit anerkannten politischen Stimme und Macht, und den Massen an Ungehörten und Unberücksichtigten im Kapitalismus.

Wir können uns also weder auf die Politik, noch auf das Recht verlassen, die beide im Kapitalismus verankert sind. Was können wir dann tun?
Nun, wir können aufhören Dinge zu tun, die uns schwach machen. Wir können aufhören, uns als Bedürftige zu sehen, die eine Führung durch Parteien benötigen, um politisch handlungsfähig zu sein. Wir können aufhören, uns in unsere privaten Blasen und Komfortzonen zu verkriechen, und auf blind und taubstumm zu schalten, wenn das Unglück der Verdrängung unsere Mitmenschen trifft. Wir können aufhören die Dinge, wie sie hier draussen wirklich passieren, mit dem zu verwechseln, das uns die Medienkonzerne als objektive Berichterstattung verkaufen. Und wir können aufhören damit, diesen quälenden Wunsch nach einem besseren Leben zu verdrängen, nur um bei jedem noch so kleinen Deal, den uns Politik und Eigentümer hinhalten, anzuspringen wie halbverhungerte Hunde. So leid es mir auch tut: Nein – das bezirkliche Vorkaufsrecht ist kein langfristiges Mittel gegen Verdängung! Ja, einige Häuser werden gekauft werden können, und das ist auch gut so. Aber für die allermeisten wird es niemals genug Geld geben. Das Vorkaufsrecht wird ein paar Inseln der Geretteten auf der Karte der Verdrängung Berlins schaffen, und die Entscheidung darüber, welches Haus mit den begrenzten Mitteln gekauft wird, und welches nicht, wird auch von ebenjener Politik abhängig sein, die letzten Endes kein Interesse am Ende des Ausverkaufs der Stadt hat. Nichts tun und auf das bezirkliche Vorkaufsrecht zu hoffen ist wie zu warten auf ein Wunder. Es ist die passende Reaktion auf das Verständnis von Verdrängung als Naturgewalt, der wir machtlos ausgeliefert sind. Wir können aufhören, Verdrängung so zu sehen, und wir können aufhören, die Macht unserer Selbstorganisierung zu vernachlässigen. Jeder und jede von uns hat die Macht, diese Stadt zu verändern, wir müssen nur verantwortungsvoll und koordiniert zusammenarbeiten, um sie gemeinsam auszuüben.

Gegen die Räumung der Friedel54 sind einfache Nachbar*innen, sogenannte “Bürgerliche”, und radikale Linke gemeinsam auf die Straße gegangen. Auch dies ist ein Anzeichen kommender solidarischer Kieze. Es ist Zeit, dass wir die Radikale Linke aus den Randbereichen der Politik in die Mitte unserer Kämpfe gegen Verdrängung und für eine solidarische Stadt holen. Sie nennt sich radikal, weil sie die Wurzel des Problems benennt: den kapitalistischen Normalzustand. Ihre Radikalität besteht darin, sich mit nicht weniger zufrieden zu geben, als mit der befreiten Gesellschaft, sie hält permanent den Finger in die Wunde und sagt: „Ja, aber das ist noch nicht genug!“ Die radikale Linke ist die einzige politische Strömung, die in diesen schwierigen Zeiten noch eine wirklich humanistische Vision von Gesellschaft anzubieten hat. Es ist Zeit, sich ernsthaft mit ihren gesellschaftlichen Alternativen auseinander zu setzen, ihre Ideen und Visionen von ihrer veralteten Klassenkampfrhetorik und ihrer theoretischen Selbstbezüglichkeit zu befreien, sie anzueignen, und für die eigenen Projekte und Vorhaben auf der Ebene der Stadt anzuwenden. Die Ideen der Radikalen Linken sind die Werkzeuge, mit denen wir die Demokratie im Großen sowie im Kleinen weiterentwickeln, und damit letztendlich vor dem Absterben bewahren können.

Der Beweis dafür, dass das stimmt, stammt von der Friedel54 selbst: die Friedel ist nicht nur geistige Patin der Siebdruckwerkstatt SDW-Neukölln, mit deren Projekten „Rütliwear“ und „Made in Neukölln“, die heutige Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey einst Karriere machte, sondern sie hat auch vor genau zwei Jahren die Neuköllner Kiezversammlung ins Leben gerufen, in der unterschiedlichste Nachbar*innen gegen Verdrängung zusammen kommen, und die die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellt.

Zum Schluss noch ein paar Worte an die Menschen des Kollektivs der Friedel54: An einem Balkon über dem Kiezladen hängt ein Transparent mit der Aufschrift: „Kollektiv Friedel 54 – always moving forward!“ – zu deutsch: „es geht immer forwärts!“. Erinnert euch daran! Trocknet eure Tränen, kuriert eure Verletzungen aus, und lasst uns gemeinsam weitermachen! Den nächsten Nachbarn und Nachbarinnen steht schon die Verdrängung bevor – in der Friedelstraße, in der Pflügerstraße, in der Weserstraße, in der Pannierstraße und darüber hinaus überall in Neukölln. Lasst uns den Frust über den Verlußt des Kiezladens umwandeln in eine gemeinsame solidarische Praxis, lasst uns investieren in Organisierung und Vernetzung, in starke direkte Beziehungen, um solch einen Support aus dem Kiez, wie ihr ihn erfahren habt, für alle Betroffenen von Verdränung zum Normalfall zu machen.

Wir bleiben alle zusammen – rebellische Nachbarn für solidarische Kieze und eine Stadt von Unten!

Von Meggy Reuter (Pseudonym, die Person ist dem Plenum bekannt)