Abriss Karstadt-Gebäude am Hermannplatz – Neubau multifunktionale Shopping-Mall
Eine Recherche von Niloufar
Ihr habt sicherlich auch die Geschehnisse in Österreich und das Video verfolgt, in dem FPÖ-Chef Strache so einiges aus den Nähkästchen plaudert. Als einen der Großspender an die ÖVP und FPÖ nennt er u.a. René Benko, der mit seinem Immobilienunternehmen Signa das Karstadt-Gebäude am Hermannplatz abreißen und das ursprüngliche Gebäude aus dem Jahre 1929 wieder aufbauen möchte.
Das neue Shopping-Mall-Projekt wird die negativen Entwicklungen auf dem Mietwohnungsmarkt mit ihren steigenden Mieten und Verdrängungsmechanismen weiter verstärken und v.a. das Gewerbe in Kreuzberg und Neukölln nachhaltig umstrukturieren bzw. auch die (post)migrantischen Gewerbetreibenden vertreiben. Als Bewohnerin der Karl-Marx-Strasse bin ich direkt betroffen und möchte mich mit bestehenden Initiativen und Menschen – in Kreuzberg und Neukölln – vernetzen, um gemeinsam etwas gegen dieses Großprojekt zu starten.
Erste Recherchen:
Hier ein gut zusammengefasster Artikel darüber, wie Benko mit seinen Spenden dazu beigetragen hat, dass ÖVP und FPÖ – ersteres die rechtskonservative zweiteres die rechtsextreme Regierungspartei Österreichs – zu Wahlgewinnern wurden: https://kontrast.at/strache-gudenus-ibiza-video-ruecktritt/. Und er erwarb zudem Anteile an der Krone und an den Kurier, zwei Zeitungen, die Kanzler Kurz und Strache tatkräftig unterstützt haben. Und das alles tut er natürlich nicht umsonst – Steuersenkungen, Unterstützung für Deals, die seinem Unternehmen zugute kommen etc. Zudem steht er unter Korruptionsverdacht.
Die Signa Holding besteht aus zwei Teilen: Signa Real Estate und Signa Retail. Erstere besitzt die Immobilie seit 2013 – also das Nachkriegsgebäude – und vermietet diese an die unterschiedlichen gewerblichen Nutzer_innen (hauptsächlich Karstadt, aber auch ein Fitness-Center, dm etc.). Und die Signa Retail besitzt Karstadt Warenhauskette seit 2014, die im Herbst 2018 mit Kaufhof fusioniert ist.[1]
(Hintergrund: Karstadt hat seine Immobilien 2006 an ein Konsortium verkauft – seitdem zahlte das Unternehmen Miete an die Immobilieneigentümer.)
Diesen Umstand machte Benko zur Geschäfts-Strategie, indem er das Kerngeschäft schrumpfen lässt (also Verkleinerung der Verkaufsflächen in den Gebäuden, weniger Mitarbeitende) und weitere Flächen an andere Gewerbetreibende teuer vermietet. Das wird im Handelsblatt als „Geheimnis seines Erfolgs“ bezeichnet. Aus den hohen Mieteinnahmen der anderen Gewerbetreibenden zieht die Holding seinen Profit.
Kein Wunder also, dass z.B. das Karstadt-Gebäude in der Stuttgarter Königstrasse nach der Sanierung Primark, dm und Vodafone Filialen enthielt, jedoch keinen Karstadt mehr. Hier eine sehr gut zusammengefasste Sendung auf monitor (2016) zum Thema Immobilien, Gewerbemieten und dem Downsizing von Karstadt (sprich: Massenentlassungen).
Ver.di-Vertreter Arno Peukes sagt in dem monitor-Beitrag, dass es nur noch um die Immobilien und die Mietpreise geht, nicht um das Kerngeschäft von Karstadt bzw. nicht um die Zukunft der Mitarbeitenden… Vor diesem Hintergrund ist der Abriss des jetzigen Gebäudes am Hermannplatz und die Errichtung eines wesentlich größeren zu betrachten: Karstadt soll auf 17.000 – 20.000 m2 schrumpfen, die Gesamtfläche des geplanten Gebäudes hingegen beträgt 100.000 m2. D.h. mindestens 80.000 m2 sollen an andere Gewerbetreibende vermietet werden! Karstadt macht dann knapp 20% aus. Als potentielle Nutzungen nannten das Investoren-Team beim Bauausschuss in Kreuzberg Mitte Mai: Hotel, Markthalle, Ärztehaus, Wohn- und Büronutzungen.
Und um den Maßstab seiner Vorhaben zu verstehen: allein in Berlin sollen zwei Karstadt-Filialen abgerissen werden (am Hermannplatz und am Kurfürstendamm). Hinter dem Galeria-Kaufhof-Gebäude am Alexanderplatz soll ein 130-150 m hoher Turm gebaut werden, neben dem KaDeWe (das auch Signa gehört) soll das Parkhaus abgerissen und ein 5-geschossiger Riegel mit 12-geschossigem Turm gebaut werden. (Ganz unten zu lesen hier: https://www.bz-berlin.de/berlin/neukoelln/berlin-bekommt-seinen-groessten-einkaufstempel-zurueck)
Es muss unbedingt verhindert werden, dass die Signa Holding in Kreuzberg/Neukölln ein solches Großprojekt realisiert. Es geht um die Vergrößerung der Gesamtflächen der Immobilie und der Verkleinerung der Karstadt-Verkaufsflächen. Raum soll hier maximalen Profit abwerfen, Flächen zu Höchstmietpreisen verwertet werden. Und zwar zu 80% von anderen Gewerbetreibenden.
Gründe gegen
das Großprojekt:
1. Der Hermannplatz ist
stadträumlich ein Dreh- und Angelpunkt – es ist ein Bindeglied zwischen
Kreuzberg und Neukölln. Das Großprojekt wird von dort aus über den Kottbusser
Damm bis zum Kotti, über die Sonnenallee, Karl-Marx-Str. und Hermannstr. bis
zum S-Bahn-Ring sowie entlang der Urbanstr. und Hasenheide die aktuellen,
negativen Entwicklungen verstärken: der ohnehin schon wütende Gewerbeexodus und
die Verdrängung von Mieter_innen mit geringem Einkommen wird potenziert. Und
v.a. das migrantisch geprägte Kleingewerbe sowie die (post)migrantischen
Bewohner_innen sind betroffen. Benko wird hohe Gewerbemieten verlangen – diese
wiederum lassen Hauseigentümer in beiden Bezirken die Chance auf höhere
Gewerbemieten wittern. Was darauf folgen wird, sehen wir jetzt schon:
Gewerbemietverträge werden entweder nicht verlängert oder drastisch erhöht.
Eine ähnliche Dynamik wird es bzgl. der Mietpreisentwicklungen für Wohnungen
geben – v.a. wenn es tatsächlich auch Wohnnutzungen im neuen Gebäude geben
sollte. Die
Mietpreise sind in den letzten 10 Jahren im Norden Neuköllns um 146% gestiegen
– dem größten Anstieg in ganz Berlin. Es gibt einen Immobilienboom,
der für ein Immobilienunternehmen wie Signa hervorragende Chancen für noch mehr
Profit bietet.
2. Mit der politischen
Orientierung Benkos gewinnt Nr. 1 nochmals an Sprengkraft. In Neukölln gibt es
ein rechtes Netzwerk, das Buchläden anzündet, linke Politiker_innen und
Aktivist_innen bedroht, in ihre Häuser eindringt, ihre Autos anzündet,
Sprengsätze in linke Cafés legt. Wir brauchen nicht auch noch rechte Kräfte
„von oben“, die durch neoliberale Immobilienentwicklung der Bevölkerung ihre
Existenzgrundlage und Wohnräume nimmt. Die „Vision“ von Benko ist sehr klar in
dieser Zeichnung von
David Chipperfield Architects zu erkennen: mehrheitlich
weisse, vornehme Menschen, die über den Dächern Neuköllns Walzer tanzen. Es
gibt darin keinen Platz für die Afro-Shops, Asia-Läden, Perückenhändler und
syrischen Konditoreien. Und auch keinen Platz für diejenigen, die heute am Hermannplatz
abhängen, einkaufen, arbeiten. Wir sind nicht abgebildet. Wir werden nicht
mitgedacht. Wir sind nicht erwünscht.
Bezirksbürgermeister Hikel nennt das Projekt eine „ungeheure Aufwertung“ für Neukölln. Die Bezirksverwaltung Neukölln und der Senat sollten sich um „Aufwertung“ kümmern im Sinne der Bekämpfung rechtsextremer Verbrechen, statt rechten Immobilienunternehmen zu hofieren. Sie hoffen, dass dieses Großprojekt es ihnen nun ermöglicht, an Pläne aus Buschkowsky-Zeiten anknüpfen: Der Hermannplatz soll hierfür umgestaltet werden. Der jetzige Plätz hätte eine „geringe Aufenthaltsqualität“ laut Hikel. Der Platz hat eine gute Aufenthaltsqualität! Aber womöglich möchte der Bezirksbürgermeister einfach andere Menschen dort sehen – womöglich Walzer tanzende oder Flanierende, die aussehen wie aus den 20er Jahren. Nicht mit uns.
3. Wie weiter oben beschrieben, handelt es sich im Prinzip um ein Immobilienunternehmen – Karstadt als Gewerbe ist lediglich „Mieter“ – er wird im neuen, alten Gebäude eine kleinere Verkaufsfläche erhalten, 80% der Fläche werden an andere Firmen vermietet. Abgesehen von der Bauzeit, in der Mitarbeitende vor Entlassungen zu fürchten haben, wird es im neuen Gebäude für sie auch weniger Chancen auf einen Arbeitsplatz geben. Die Geschichte von Karstadt in den letzten Jahren ist eine Geschichte der Entlassungen, Gehalts- und Weihnachtsgeldkürzungen. Wer glaubt da noch, dass Benko für die Mitarbeiter_innen „kämpfen“ wird? Es geht konkret um die Zukunft von ca. 250 Mitarbeiter_innen von Karstadt, sowie 100 Mitarbeiter_innen der anderen Gewerbenutzungen im Gebäude.
4. Es ist ökologisch völlig unsinnig 100.000-126.000 m2 neu zu bauen (die Angaben der Investoren variieren) mit der Begründung, das jetzige Gebäude sei eine „Energieschleuder“. Die jetzige Verkaufsfläche ist kleiner. Selbst wenn das Gebäude pro Quadratmeter mehr Energie verschleudert als ein neues Gebäude, käme man bei einem größeren, neuen Gebäude auf einen höheren Energieverbrauch – v.a. wenn wir den Energie- und Ressourcenverbrauch des Neubaus, die graue Energie und den Abriss des alten Gebäudes einrechnen. Statt aus Muschelkalk wird die Fassade aus Beton errichtet – Zement ist ein wesentlicher Bestandteil von Beton, das für enorme CO2-Emissionen weltweit sorgt. Angesichts einer drohenden Klimakatastrophe, sollte ein solches Projekt für die beiden grünen Baustadträte in NK und KB untragbar sein.
5. Die Wiedererrichtung der monumentalen Architektur der 1920er Jahre weckt kollektive Erinnerungen, die nur auf herkunftsdeutsche Geschichte und Erinnerungskultur hinweisen und bedeutet somit aktive Ausgrenzung derjenigen Personen, die nach 1945 nach Deutschland kamen und generell aller Personen, die sich nicht mit dieser Geschichte identifizieren möchten. Die Architektur des ursprünglichen Gebäudes ist Ausdruck einer spezifischen Vorstellung von Gesellschaft und Identität. Die Stadtgesellschaft hat sich jedoch seit 1929 weiterentwickelt und ist von vielen unterschiedlichen Identitäten geprägt – v.a. in diesen beiden Kiezen. Aber Auftraggeber noch Architekt_innen haben offensichtlich ein völlig anderes Bild dieser Stadtgesellschaft vor Augen: Die Bildsprache des Projektes spricht Bände. Das Rekonstruktionsprojekt grenzt aus, was seit 1929 passiert ist: Die Geschichte des Nationalsozialismus wird unsichtbar gemacht, die Identitäten und kulturellen Einflüsse der Migrationsgesellschaft werden ausgegrenzt. Und zugleich schafft das Projekt ein „Wir“ in Form kollektiver Erinnerung, die nur Herkunftsdeutsche einschließt. Durch Rekonstruktion romantisieren und mythologisieren sie die deutsche Geschichte und sprechen nur solche an, die sich kritiklos damit identifizieren. In diesem Sinne ist das Rekonstruktionsprojekt (ebenso wie die Rekonstruktion des Stadtschlosses) durch und durch nationalistisch.
Die ideologische Auswirkung ist schon jetzt erkennbar – erst kürzlich titelte die moderneREGIONAL, die eigentlich bekannt dafür ist, gegen den Abriss von Bauten aus der Nachkriegszeit zu sein: „Die Wiederauferstehung von Neukölln?“.
Das Gebäude von Philip Schaefers (Bauzeit 1927-29) stand zum größten Teil während des Nationalsozialismus. Zwölf der sechszehn Jahre, in denen das Gebäude stand, wehte eine Hakenkreuz-Flagge über beiden Türmen. Von was für einer „Wiederauferstehung“ ist eigentlich die Rede? Von welchem „Wiederaufbau“? Es ist erschreckend, wie unkritisch eine solche Rekonstruktion aufgefasst wird, nur weil die Architektur des Gebäudes als „qualitativ hochwertig“, der aktuell planende Architekt Chipperfield als „Stararchitekt“ gilt.
Architektur ist nicht nur vornehmer Stil und schöne Fassade, sondern auch Erinnerungsträger, ideologisches Werkzeug, Machtinstrument – und in Zeiten des Finanzkapitalismus auch: Spekulationsobjekt und -treiber.
Die wichtigsten Links:
https://www.bz-berlin.de/berlin/neukoelln/berlin-bekommt-seinen-groessten-einkaufstempel-zurueck
https://kontrast.at/strache-gudenus-ibiza-video-ruecktritt/
[1] Mit der Fusionierung der beiden größten Kaufhausketten letztes Jahr wurde der Konzern zum zweitgrößten Europas. Für die 5.000 Beschäftigten von Kaufhof gibt es 2 Jahre lang „Bestandsschutz“ – was danach passiert, ist jetzt schon abzusehen. Ein Debakel: https://www.welt.de/print/die_welt/wirtschaft/article187813710/Wir-werden-um-jede-einzelne-Filiale-kaempfen.html